Dienstag, 18. November 2008

Cymbelins Jupiter-Erscheinung



(Cym 5.4) Jupiter.
Schweigt, schwache Schatten ihr vom niedern Sitz,
Betäubt mein Ohr nicht, still! - Wie wagt ihr, Geister,
Den Donnrer zu verklagen, dessen Blitz,
Rebell’n zerschmetternd, kenntlich macht den Meister?


Dem aus dem Theaterhimmel auf einem Adler herabfahrenden Jupiter (s. Abb.) sowie den Familiengeistern, die den fiebernden Posthumus in seiner Zelle umstellen, von Jupiter als Schatten bezeichnet, widmet Greenblatt in „Hamlet im Fegefeuer“ weite Passagen und schließt mit folgender Betrachtung:

Die untergründige Verbindung zwischen den Geistern und dem Theater, seiner Macht, seinem Spiel und seiner Rechtfertigung ist der Faden, der alle widersprüchlichen Stoffe verbindet, die wir betrachtet haben: falsche Vermutungen, schreckliche Missverständnisse, psychologische Projektionen, rachsüchtige Geister, Zeichen des Gewissens, Agentien der Erlösung. Wir haben keine geradlinige Erzählung vor uns, keine lineare Bewegung vom Zweifel zum »Zitat« der Klassik, von Gläubigkeit zur Ernüchterung, auch nicht von Mystifikation zur Ironie (und auch nicht das Gegenteil all dieser Handlungsbögen). [Greenblatt, Fegefeuer; Kap. 4, Geister auf der Bühne. - Zweifel und Wunder pp.256-260]

Sonntag, 5. Oktober 2008

Cymbelin - Szenenfolge

I. Akt
1. Szene: Britannien. Garten bei Cymbelins Palast.
2. Szene: Ebendaselbst.
3. Szene: Freier Platz.
4. Szene: Zimmer im Palast.
5. Szene: Rom, in Philarios Hause.
6. Szene: Britannien, in Cymbelins Palast.
7. Szene: Ein anderes Zimmer im Palast.

II. Akt
1. Szene: Britannien, ein Hof vor dem Palast.
2. Szene: Schlafzimmer, in einer Ecke steht die Kiste.
3. Szene: Vor Imogens Gemach.
4. Szene: Rom, in Philarios Hause.
5. Szene: Ebendaselbst.

III. Akt
1. Szene: Britannien, im Palast.
2. Szene: Ein anderes Zimmer im Palast.
3. Szene: Wales, eine waldige Berggegend mit einer Höhle.
4. Szene: In der Nähe von Milford Hafen.
5. Szene: In Cymbelins Palast.
6. Szene: Vor Bellarius’ Höhle.
7. Szene: Rom

IV. Akt
1. Szene: Der Wald bei der Höhle.
2. Szene: Vor der Höhle.
3. Szene: In Cymbelins Palast.
4. Szene: Vor der Höhle.

V. Akt
1. Szene: Feld zwischen dem römischen und britischen Lager.
2. Szene: Ebendaselbst.
3. Szene: Ein anderer Teil des Schlachtfelds.
4. Szene: Gefängnis.
5. Szene: Vor Cymbelins Palast.

Samstag, 4. Oktober 2008

Cym 2. Akt, 2. Szene - Mit Boccacios Kistentrick ins Schlafzimmer der Imogen



Die_berühmteste, da oft gemalte, Szene, ist das schwülstig erotische Zentrum des Stücks: In einer Kiste hat sich Jachimo, der kleine Jago, verborgen. Nachdem Imogen eingeschlafen ist, entsteigt er der Kiste, betrachtet die unbekleidete Imogen und bemerkt auf der linken Brust ein Mal, fünfsprenklig, wie die roten Tropfen in dem Schoß der Primel. Jachimo prägt sich die Charakteristika des Ortes ein, entwendet der Imogen das Armband, welches sie von Posthumus als Liebespfand erhalten hatte. Dann kehrt Jachimo in seine Kiste zurück, die am nächsten Tag von seinen Dienern abgeholt wird.

Spätestens jetzt ist es an der Zeit, sich Boccacios Il Decamerone II.9 zu vergegenwärtigen, woraus Shakespeare diese Szene entlehnt hat. Am zweiten Tag unter der Regentschaft Filomenas, die das Thema „größte Gefahren, denen man unvermutet entgeht“ vorgibt und selbst folgende Geschichte erzählt:

Bernard von Genua verliert durch des Ambrosius Betrug sein Vermögen, und will sein Frau umbringen lassen. Sie entkommt, tritt in Mannskleidern in den Dienst des Sultans, entdeckt den Betrüger, läßt ihn in Alexandrien bestrafen und kommt in Frauenkleidung mit ihrem Manne reich wieder nach Genua. Soweit die vorangestellte Zusammenfassung. … Der Kasten wurde nun wirklich ins Schlafzimmer gesetzt. In der Nacht, als Ambrosius die Frau im Schlafe glaubte, öffnete er ihn geschickt, ging leise in das durch Licht erleuchtete Zimmer und merkte sich die Lage desselben, die Gemälde und alle darin befindlichen Sonderbarkeiten. Darauf näherte er sich dem Bette und deckte die mit einem kleinen Mädchen fest schlafende Frau behutsam auf. Er fand sie nackend ebenso schön wie angezogen und wurde kein andres Kennzeichen, das er ihrem Manne hinterbringen könnte, gewahr, als ein unter der linken Brust mit goldenen Haaren umwachsenes Mal, worauf er sie still wieder zudeckte. Ungeachtet, daß der reizende Anblick ihn beinahe sein Leben aufs Spiel zu setzen und sich an ihre Seite zu legen verleitet hätte, so wagte er es wegen des Rufs ihrer Strenge und Unbeugsamkeit in diesem Punktee doch nicht, und kehrte, nachdem er eine Börse, ein Nachtgewand, einen Ring und einen Leibgürtel aus dem Schranke genommen hatte, in seinen Kasten zurück, den er wieder verschloß. Dies wiederholte er zwei Nächte, ohne von der Frau bemerkt zu werden.

PS: Das obige Gemälde von Wilhelm Ferdinand Souchon (*Halberstadt 1825, +1876) Imogen aus dem Jahr 1872 illustriert die Shakespeare-Story.

Cymbeline 2. Akt, 1. Szene - Der Kotzbrocken

Cloten (Bild re.) tritt auf, der Sohn der Königin (Bild li.) aus erster Ehe. Er ist ein cholerischer, grenzdebiler Vollidiot, der gerade beim Billardspiel verloren hat und deshalb seinem Kontrahenten den Schädel einschlug. Sein königlicher Rang stellt ihn, so glaubt er, über das Gesetz.

Cloten, der Fall für die Supernanny in der Patchworkfamilie Cymbeline, ist so bizarr überzeichnet, wie vergleichsweise „Kurt“ aus dem Frühstyxradio. - In dieser Szene wird er von zwei devoten „Gürgens“ begleitet, die ihm den Plan für den heutigen Abend vorschlagen: Ausländer angaffen!

Das obige Bild zeigt Sam Waterston als Cloten an der Seite von Jane White in einer Aufführung der New York Shakespeare Company am Delacorte Theatre aus dem Jahr 1972.

Sonntag, 21. September 2008

Cymbelin, Erster Akt

Wider Erwarten und entgegen aller Unkenrufe liest sich der erste Akt flott und flüssig. Es wird viel beiseite gesprochen und teilweise spürt man schon den Luftzug der Zaunpfähle, mit denen die Akteure ins Publikum winken. Zum Beispiel geben gleich zu Beginn zwei Edelleute eine Einführung in die Situation: König Cymbelin ist sauer, seine Tochter aus erster Ehe, Prinzessin Imogen, will nicht den vertrottelten Grobian Cloten heiraten, der auch noch der Sohn der jetzigen Königen aus deren erster Ehe ist. Sie hat sich stattdessen mit dem Supertypen Posthumus vermählt, der nur als Waisenkind am Hofe großgezogen wurde. Und dann gab es da doch noch zwei Brüderchen der Imogen, die aus dem Kinderzimmer entführt wurden.

Erster Edelmann. ...
Zwei Söhn’ hat er (dünkt’s Euch merkenswert,
So hört mit zu): der älteste drei Jahr’,
Der Zweit’ in Windeln, wurden sie gestohlen
Aus ihrer Ammenstub’, und niemand ahnet
Bis diese Stunde, was aus ihnen ward.

Zweiter Edelmann.
Wann fiel das vor?

Erster Edelmann. Vor etwa zwanzig Jahren.

Zweiter Edelmann.
Dass Königskinder so entwendet wurden!
So schlecht bewacht! so schläfrig aufgesucht,
Dass keine Spur sich fand!

Erster Edelmann. Mag’s seltsam sein,
Und fast zu Lachen solche Lässigkeit,
So ist es dennoch wahr.


Das hat Telenovela-Qualitäten, Don Shakespeare. Seltsam, aber so steht es geschrieben.

Höchst amüsant ist die Einführung des Debilo-Prinzen Cloten (s.o. Paul Scofield 1946). Er möge doch bitte sein stinkendes Hemd wechseln, was dieser ablehnt, da ja noch nicht richtiges Blut dran ist. - Wie weiland Kurt und Gürgen aus dem niedersächsischen Frühstyxradio.

Mal sehen wie es weiter geht...

Literaturliste Cymbelin


Die gedruckte Reclam-Ausgabe ist angekommen und ich beginne gleich an dieser Stelle mit einer Literaturliste, der Begriff „Bibliographie“ erscheint mir doch vemessen. Nichtsdestotrotz wird diese Liste sicherlich im Laufe der Lektüre erweitert werden.

Editionen
William Shakespeare: Cymbelin - Schauspiel in fünf Akten Aus d. Englischen v. Dorothea Tieck. Mit einem Nachwort von Gerhart Göhler. rub 225, Philipp Reclam Jun., Stuttgart [1964], 2003

Sekundärliteratur
Bloom, Harold: Shakespeare - Die Erfindung des Menschlichen Bd. 2 Tragödien und späte Romanzen. Aus d. Englischen v. Peter Knecht. BvT Berlin Verlag, Berlin [1998 Shakespeare - The Invention of the Human, Riverhead Books, New York] 2002

Kluge, Walter und Ingrid Hotz-Davies: Cymbeline. In: Ina Schabert (Ed.) Shakespeare-Handbuch - Die Zeit, der Mensch. das Werk, die Nachwelt Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 4. Aufl. 2000. pp 469-474.

Weber, Bruce: Shakespeare's Game, Without a Score Card. In: New York Times Theater Review, 8.3.2002 URL: http://theater2.nytimes.com/mem/theater/treview.html, retr. 4. 10. 2008 Anm: Über die Cymbeline-Inszenierung von Mike Alfreds am Brooklyn Academy of Music's Harvey Theatre, New York, 2002.

Sonstige
Boccaccio, Giovanni: Das Decameron Aus d. Ital. v. August Gottlieb Meißner. Bearb. v. Johannes von Guenther. Wilhelm Goldmann Verlag, München 1960.

Samstag, 20. September 2008

Die Renaissance der Imogen


Plötzlich tauchte sie in den Playlists des Unterbewussten auf: Imogen. Imogen Heap singt für Tibet, Imogen Stubbs spielt Was ihr wollt. Oh, Imogen. Ein seltener, wunderschöner Name aus dem Shakespeare-Universum, der als englischer Mädchen-Vorname zur Zeit im Kommen ist.

Die verletzte Prinzessin Imogen, König Cymbelins Tochter aus erster Ehe, ist die mythische Hauptfigur in Shakespeares nicht unbedingt schlechtestem, aber doch merkwürdigstem Bühnenwerk, das mit dem Etikett "Späte Romanze" höchst unzureichend charakterisiert ist.

Schritt 1: Lektüre besorgen. Die Shakespeare-Abteilung bei Amazon ist für Bardolatoren höchst unbefriedigend strukturiert. Mit dem Titel allein kommt man bei Weltliteratur kaum weiter, es werden die unmöglichsten Ramsch-Angebote angepriesen. Wie gut, dass es eine Reclam-Ausgabe gibt. Cymbelin gibt es online beim Projekt Gutenberg, aber in einer fragwürdigen Edition. (Hier!) Oder besser bei Shakespeare on the Internet. Hier!