Sonntag, 21. September 2008

Cymbelin, Erster Akt

Wider Erwarten und entgegen aller Unkenrufe liest sich der erste Akt flott und flüssig. Es wird viel beiseite gesprochen und teilweise spürt man schon den Luftzug der Zaunpfähle, mit denen die Akteure ins Publikum winken. Zum Beispiel geben gleich zu Beginn zwei Edelleute eine Einführung in die Situation: König Cymbelin ist sauer, seine Tochter aus erster Ehe, Prinzessin Imogen, will nicht den vertrottelten Grobian Cloten heiraten, der auch noch der Sohn der jetzigen Königen aus deren erster Ehe ist. Sie hat sich stattdessen mit dem Supertypen Posthumus vermählt, der nur als Waisenkind am Hofe großgezogen wurde. Und dann gab es da doch noch zwei Brüderchen der Imogen, die aus dem Kinderzimmer entführt wurden.

Erster Edelmann. ...
Zwei Söhn’ hat er (dünkt’s Euch merkenswert,
So hört mit zu): der älteste drei Jahr’,
Der Zweit’ in Windeln, wurden sie gestohlen
Aus ihrer Ammenstub’, und niemand ahnet
Bis diese Stunde, was aus ihnen ward.

Zweiter Edelmann.
Wann fiel das vor?

Erster Edelmann. Vor etwa zwanzig Jahren.

Zweiter Edelmann.
Dass Königskinder so entwendet wurden!
So schlecht bewacht! so schläfrig aufgesucht,
Dass keine Spur sich fand!

Erster Edelmann. Mag’s seltsam sein,
Und fast zu Lachen solche Lässigkeit,
So ist es dennoch wahr.


Das hat Telenovela-Qualitäten, Don Shakespeare. Seltsam, aber so steht es geschrieben.

Höchst amüsant ist die Einführung des Debilo-Prinzen Cloten (s.o. Paul Scofield 1946). Er möge doch bitte sein stinkendes Hemd wechseln, was dieser ablehnt, da ja noch nicht richtiges Blut dran ist. - Wie weiland Kurt und Gürgen aus dem niedersächsischen Frühstyxradio.

Mal sehen wie es weiter geht...

Literaturliste Cymbelin


Die gedruckte Reclam-Ausgabe ist angekommen und ich beginne gleich an dieser Stelle mit einer Literaturliste, der Begriff „Bibliographie“ erscheint mir doch vemessen. Nichtsdestotrotz wird diese Liste sicherlich im Laufe der Lektüre erweitert werden.

Editionen
William Shakespeare: Cymbelin - Schauspiel in fünf Akten Aus d. Englischen v. Dorothea Tieck. Mit einem Nachwort von Gerhart Göhler. rub 225, Philipp Reclam Jun., Stuttgart [1964], 2003

Sekundärliteratur
Bloom, Harold: Shakespeare - Die Erfindung des Menschlichen Bd. 2 Tragödien und späte Romanzen. Aus d. Englischen v. Peter Knecht. BvT Berlin Verlag, Berlin [1998 Shakespeare - The Invention of the Human, Riverhead Books, New York] 2002

Kluge, Walter und Ingrid Hotz-Davies: Cymbeline. In: Ina Schabert (Ed.) Shakespeare-Handbuch - Die Zeit, der Mensch. das Werk, die Nachwelt Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 4. Aufl. 2000. pp 469-474.

Weber, Bruce: Shakespeare's Game, Without a Score Card. In: New York Times Theater Review, 8.3.2002 URL: http://theater2.nytimes.com/mem/theater/treview.html, retr. 4. 10. 2008 Anm: Über die Cymbeline-Inszenierung von Mike Alfreds am Brooklyn Academy of Music's Harvey Theatre, New York, 2002.

Sonstige
Boccaccio, Giovanni: Das Decameron Aus d. Ital. v. August Gottlieb Meißner. Bearb. v. Johannes von Guenther. Wilhelm Goldmann Verlag, München 1960.

Samstag, 20. September 2008

Die Renaissance der Imogen


Plötzlich tauchte sie in den Playlists des Unterbewussten auf: Imogen. Imogen Heap singt für Tibet, Imogen Stubbs spielt Was ihr wollt. Oh, Imogen. Ein seltener, wunderschöner Name aus dem Shakespeare-Universum, der als englischer Mädchen-Vorname zur Zeit im Kommen ist.

Die verletzte Prinzessin Imogen, König Cymbelins Tochter aus erster Ehe, ist die mythische Hauptfigur in Shakespeares nicht unbedingt schlechtestem, aber doch merkwürdigstem Bühnenwerk, das mit dem Etikett "Späte Romanze" höchst unzureichend charakterisiert ist.

Schritt 1: Lektüre besorgen. Die Shakespeare-Abteilung bei Amazon ist für Bardolatoren höchst unbefriedigend strukturiert. Mit dem Titel allein kommt man bei Weltliteratur kaum weiter, es werden die unmöglichsten Ramsch-Angebote angepriesen. Wie gut, dass es eine Reclam-Ausgabe gibt. Cymbelin gibt es online beim Projekt Gutenberg, aber in einer fragwürdigen Edition. (Hier!) Oder besser bei Shakespeare on the Internet. Hier!